Etwas planlos dödeln wir durch Vorpommern und Ostmecklenburg. Wir, das sind meine Mutter und ich. Wir wollen gemeinsam urlauben – eine, seit dem Tod meines Vaters, mir lieb gewordene herbstliche Tradition. Aus bekannten Gründen treibt es uns nicht weit weg. Wir wählen in diesem Jahr einen nahen und sicheren Hafen als Ziel. Lütt Matten.
Aber noch sind wir unterwegs. Zum Leidwesen meiner Mutter mag ich es, bekannte Pfade zu verlassen. Wir fahren, nur grob geleitet durch die Himmelsrichtung, quer durch den Nordosten. Manchmal landen wir auf einem unpassierbaren Feldweg und müssen eine 180-Grad-Wende fahren. Mit vier Rädern unterm Hintern kein Problem. Wir lassen uns weiter treiben und werden plötzlich von einem lieblichen Flußtal überrascht, soweit man in Meckpomm überhaupt von einem Tal reden kann. Jedenfalls sehr lieblich und recht einsam. Wenig später staunen wir über die Weiten der Friedländer Wiesen und entdecken das dornröschengleiche Schloss Broock. Von ersteren hörte ich mal vor Urzeiten in der Schule, das einst prächtige Schloss und Gestüt war mir dagegen gänzlich unbekannt. Mir fällt auf, dass sich viele mecklenburger Dörfer in den letzten Jahren fröhlich herausgeputzt haben. Nur noch selten ist der triste graue Rauputz an den Häusern zu sehen. Schön. Irgendwann treffen wir wieder auf mir bekannte Straßen und laufen am Nachmittag wohlbehalten in Hohe Düne ein.
Nun ist so ein “Abenteuer“und der weite Fußmarsch bis zu Mattens Liegeplatz für eine 85jährige Frau kein Pappenstiel. Nach einem leckeren Mahl bei fast noch rauchwarmer Makrele fällt meine Mutter verdientermaßen in einem nachmittäglichen Erholungsschlaf. Derweil kehren meine freundlichen Stegnachbarn gerade von einem windigen Segeltörn zurück. Super. Während die beiden Segler routiniert und in aller Ruhe ihr Anlegemanöver fahren, rödel ich schon mal meinen Neoprenanzug an. Nicht, um meine Nachbarn im eleganten Schwarz zu begrüßen, sondern um abzutauchen und Mattens Propeller von vermuteten Pocken zu befreien. Die Stunde ist günstig. Die Sonne spendet gerade etwas Wärme. Meine überängstliche Mutter schläft sanft und mit den gerade eingetroffenen Nachbarn stehen mir zwei passionierte Taucher vom Steg aus sichernd zur Seite. Quasi als Trocken-Buddies.
Tauchen ist schön, wäre nicht dieses anstrengende Gedöns vor und nach dem Wassern. Unter Ächzen ist das Equipment schließlich angelegt. Mehr als 25 Kilo zerren an meinem Schultern. Ich gönne mir in Anbetracht des auftrieberzeugenden Salzes der Ostsee noch zusätzliche 2,5 Kilogramm Tarierblei. Nicht, dass ich einen Höhenflug erleide und es mit dem Abtauchen nichts wird. Boddycheck, Weste aufblasen. Atemregler nebst Ersatz auf Funktion prüfen. Joo, und dann springe ich vom Steg aus ins Haifisch- äh Hafenbecken. Zu den Haien gleich mehr.
Im Hafenbecken schwimmend, sortiere ich nochmals mein Ausrüstung, hänge den Octopus (Ersatzregler) an die Magnethalterung, checke den Finimeter und versuche, eine ruhige Atemfrequenz zu finden. Mein letzter richtige Tauchgang liegt halt schon ein paar Jahre zurück und mir fehlt die Routine. Vorerst ohne Werkzeug tauche ich nun ab und inspiziere Mattens Rumpf. Hm, sieht noch richtig gut aus. Kaum sichtbarer Bewuchs. Das Antifouling macht, was es soll. Die Opferanoden sind auch noch ausreichend groß. Nun taste ich mich in der Hafenbrühe zum Saildrive. Die Sicht ist wirklich schlecht. Vielleicht ein Meter. Dann sehe ich den Salat. Also den Pockensalat am Propeller. Der könnte auch schon als kleines Korallenriff durchgehen. Das Matten mit diesem zugewachsenen Falt- und Dreiflügler sich überhaupt bewegt hat, grenzt an ein Wunder. Ich schwimme zur Badeplattform und greife mir den zurechtgelegten Spachtel. Mit dem bekomme ich die im Allgemeinen recht hartnäckigen Seepocken gut vom Propeller. Dumm nur, dass ich eine Hand zum Festhalten benötige. Kleine dunkle Wolken umkreisen meine Finger. Jo, diese Pocken sind sowas von scharfkantig und erzeugen Wunden, vergleichbar mit schlecht heilenden Schnitten von Gras. Kennt ihr vielleicht. Jedenfalls bluten meine Finger richtig blöd. Als ich auftauche, ernte ich von meiner Nachbarin dann auch prompt die Bemerkung, sie hätte schon eine aufrechtstehende Flosse kreisen sehen. Soweit zum Thema Haifischbecken.
Mit nachbarschaftlicher Hilfe gelange ich an Bord von Lütt Matten und bin glücklich, dass sich mein Verdacht bestätigte und ich den Pockenbewuchs erfolgreich beseitigen konnte. Damit sollte Matten wieder schneller als vier Knoten unter Motor unterwegs sein können. Von meinen Nachbarn werde ich noch schnell pflastermäßig versorgt und die Haifische können mich jetzt mal. Meine Tauchhandschuhe ziehe ich bei derlei zukünftigen Aktionen vielleicht doch mal an. Kann ja sein, dass Lütt Matten sich dann tatsächlich in einem Haifischbecken befindet. Ahoi
Ach ja. Meine besorgte Mutter war dann pünktlich zum Ende der Aktion wieder wach und ihre Ängste hatten sich damit erledigt.