Der erste und zweite Blick

Nach einer unspektakulären Anreise finde ich Lütt Matten wohlbehalten in den Seilen hängend wieder. Angesichts der vielen hier kreisenden stubenunreinen Möwen, wirkt Mattens Deck erstaunlich sauber. Nur das Teak der Pflicht zeigt unschöne grüne Patina. Aber das hat Zeit. Auch im Inneren sieht es recht gut aus. Ich finde nur ganz leichte Schimmelbildung an den Aluminiumrahmen einiger Fensterluken. Das Experiment, Lütt Matten den Winter über im Wasser zu lassen, ist geglückt. Auch die Bilge präsentiert sich staubtrocken. Die Batterien strotzen vor Power. Die Solarzellen scheinen ihren Dienst ordnungsgemäß versehen zu haben. Der erste Blick stimmt mich fröhlich.

Okay, Landstrom legen, Kühlschrank anwerfen und den Salon wieder bewohnbar machen. Joo, und dann folgt der zweite Blick: Leider finde ich in der Segellast wieder recht viel Wasser. Das letztjährige Abdichten der Ankerwinsch scheint dieses Problem nicht behoben zu haben. Ich bin ratlos und vertage die Ursachenforschung auf später.

Dämlicherweis, eigentlich müßte es ja herrlicherweise heißen, habe ich das Ersatz-Vorsegel eben in dieser Segellast überwintern lassen. An Deck versuche ich, das triefend nasse Tuch notdürftig zu trocknen und finde dabei zum Glück keine hässliche Stockflecken. Puh, wenigstens das bleibt mir erspart.

Die Segel anzuschlagen, kann ich heute vergessen. Zu windig und zu viel Betrieb im Hafen. Aufgrund der erst kürzlich erfolgten Lockerungen arbeitet die Werft nun mit Hochdruck daran, die wintergelagerten Yachten einzukranen. So finde ich auch keinen Azubi, der „mal so eben“ mir beim Anbringen der Segel helfen kann. Und für eine Soloaktion ist es mir dann doch zu windig, vom umständlichen Handling einmal abgesehen.

Bevor ich mit Lütt Matten hier das Weite bzw. Nahe suche, mache ich noch einen kleinen Motorcheck. Ölstand, Filter etc. Der Flautenschieber springt ohne großes Murren an. Nach wenigen Minuten ist der Motor auf Temperatur. Dessen Abgase haben die richtige Färbung und das Kühlwasser läuft so, wie es soll.

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Alles klar zum Ablegen. Natürlich nicht. Bevor ich die Festmacher löse, prüfe ich noch den Bugstrahler, denn bei dem böigen Wind werde ich den sicher beim einhändigen Manövrieren benötigen. Kontrollleuchte brennt, aber am Bug tut sich beim Betätigen der für dieses Teil zuständigen Tasten nichts. Motor aus. Ursachenforschung. Strom liegt an. Batterie ist voll geladen. Sicherung nicht geschmolzen. Ich bin mit meinem kleinen Latinum am Ende.

Just in time läuft da ein freundlicher Bootselektriker den Bootssteg entlang. Dieser folgt prompt meiner Einladung zu einem Kontrollbesuch an Bord. Eine Viertelstunde später stellt sich heraus, dass es eigentlich nur das Steuerteil des Bugstrahlers sein kann, was zu dessen Arbeitsverweigerung führt. Und jenes Teil muß bestellt werden, falls es denn überhaupt noch bestellbar ist. Ich ahne Böses. Vermutlich hat die permanente Feuchtigkeit der teilgefluteten Segellast, in der sich eben auch der Bugstrahler befindet, dem Teil nicht gut getan. Bingo.

Joo, ich verabrede die Reparatur für die kommenden zwei Wochen. Spätestens dann sollte ein Rückkehr in Mattens Heimathafen möglich sein, bilde ich mir zumindest ein. Dann nehme ich mir ein Herz, schmeiße die Leinen los und komme auch ohne Bugstrahler sauber aus dem Slot. Ehrlicherweise spielte mir der Wind mit kurzzeitiger Nachlässigkeit dabei gut in die Karten.

Meine „langer Törn“ zum nächsten Nothafen liegt vor mir. Maximal eine halbe Seemeile. Kaum raus, geht es auch schon wieder rein. Fender umhängen, Festmacher neu justieren und fix den Schutz hinter der Hafenmauer suchen, denn der Wind nimmt wieder zu. Was hatte mir der Hafenmeister gestern gesagt? Steg 9 und dann legste dich da hin, wo ein grünes Schild ist. Joo, also suche ich mir den passenden Liegeplatz an Steg 9 aus. Links und recht zwei Boote, die Windabdeckung versprechen. Der Wind selbst kommt genau richtig auf die Nase, also besteht kaum Gefahr des Vertreibens und Auf-den-Steg-dengeln. So kommt es dann auch. Nur noch Spring legen, Festmacher justieren. Anlegerbier, für das es meines Wissens ja keine Mindesttörnlänge gibt. Fertig.

Ich gehe zum Hafenmeister und melde mich an. Der kann sich allerdings nicht mehr an seine gestrige Liegeplatzzuweisung erinnern und weist mir einen neuen Platz zu. Na toll, Hafenmanövertraining stand heute nicht auf meinem Zettel. Glücklicherweise finde ich in der Nähe des mir nun zugedachten Platzes einen, auf seinem Kat emsig hantierenden, Skipper, den ich vorab um seine Hand bitte. Also, seine helfende und ohne Kniefall. So ist das Verlegen von A nach B dann schnell erledigt, auch wenn ich jetzt gegen den Wind längsseits zum Steg gehen muss. Seitlich in die Lücke und gleichzeitig Leine schmeißen, wäre alleine etwas hektisch geworden.

Erneut suche ich den Hafenmeister auf, löhne für den 14tägigen Liegeplatz und kündige beim Hinterlegen des Bootsschlüssels noch an, dass selbigen demnächst ein Elektriker haben will. Wichtig: Manche Werften und Marinas möchten vorab gefragt werden, wenn ein „Fremdfirma“ Arbeiten verrichten soll.

Kiel scheint für Lütt Matten und mich kein Glücksbringer zu sein. Ruderschaden, Wasser in der Segellast, defekter Bugstrahler. Bevor hier noch weitere Baustellen wachsen, packe ich meinen Seesack und fahre lieber noch heute gen Heimat. Ahoi, Kiel.

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