Als hätte ich den fehlenden Wind geahnt, werde ich erst gegen Acht wach. So brauche ich auch gar nicht über ein Ablegen nachdenken und lasse es langsam angehen. Bei heißem Kaffee und den Resten des gestrigen Grillabends gibt es heute rustikales Frühstück. 12 Nürnberger Würstchen und drei Brötchen waren bei meinem einsamen Bruzzeln einfach nicht zu schaffen, auch wenn Seeluft hungrig machen soll.
Ich genieße den sonnigen Flautentag und lege einen Putztag ein. Nicht ganz freiwillig, denn morgen mutiert Lütt Matten zur Pilgerherberge und die zwei avisierten Frauen sollen sich an ihrem ersten Abend auf dem Weg nach Hamburg an Bord wohl fühlen. Männer setzen ja bekanntlich in Fragen der Ordnung andere Prioritäten. So stelle ich zuerst in der Gästekoje wieder Begehbarkeit her. Heizung, UV-Schutz fürs Vorsegel und MOB-Boje finden dann irgendwie einen anderen Platz. Hm, hätte ich auch schon mal früher machen können. Den Abwasch erledige aber erst morgen…
Dann werden Feudel und Pütz aus den Tiefen der Backskiste geholt und im Cockpit porentiefe Reinheit und strahlender Glanz hergestellt. Dabei entdecke ich zwei Schäden im Gelcoat, deren Zustandekommen sich mir nicht erklärt. Egal, im vergangenen Jahr hatte ich für derartige Zwecke prophylaktisch einen Reparatur-Kit geordert und lese erst einmal die Gebrauchsanweisung durch. Unter anderem finde ich den schönen Hinweis: „27,4 Prozent des Gemisches besteht aus einem oder mehreren Bestandteilen unbekannter Toxizität. Enthält 85,1% Bestandteile mit unbekannter Gewässergefährdung.“ Gut, dass keine Schutzhandschuhe beiliegen und ich mir meine Sorglosigkeit aus studentischen Laborzeiten bewahrt habe. Also kann es mit dem Mixen der Ingredienzen losgehen. Die schadhaften Stellen schleife ich vorher an und klebe deren Rand mit Kreppband sicherheitshalber ab. Mit dem Spachtel gelingt es mir dann einigermaßen einen Hautkontakt zu vermeiden und die giftige Masse aufzutragen. Nach dem Aushärten soll ich mit Schleifpapier und Polierpaste nacharbeiten. Scheinbar kommt der Kit aus Schweden, denn IKEA-mäßig fehlt natürlich etwas, nämlich die Paste. Ich verzichte auf eine Extratour zum nächsten Dealer und verschiebe den Feinschliff auf später. Hauptsache das Gelcoat ist wieder dicht und verhindert so weiteren Schaden.
Ich setze meine Putzorgie im Cockpit fort. Immer wieder wird meine stoische Arbeit von der notwendigen Begutachtung diverser An- und Ableger kommender und fahrender Segler unterbrochen. Bei dem nicht vorhandenen Wind verläuft das jeweilige Hafenkino relativ langweilig. Null Action. Auch keine sich anbrüllenden Crewmitglieder. Natürlich gönne ich allen ein blessurenfreies Hafenmanöver. Ich schaue sowieso nur zu, um weitere Tricks abzukupfern…
Zum späten Nachmittag entspanne ich bei Bryan Ferry, Johnny Cash und Co. Scheinbar findet auch eine Möwe Gefallen an dieser Musik für grauhaarige Altrocker. Jedenfalls bleibt sie längere Zeit in Hörweite und hält brav den Schnabel. Muss wohl ein ähnlich alter Vogel sein wie ich.
In Vorfreude auf die zwei Pilgerinnen
Ahoi