Nach dem Atlantiktörn ist es soweit. Leinen los. Joo. Fast alle Baustellen auf Lütt Matten sind beseitigt. Auch das morgige Wetter scheint nach vielen stürmischen Tagen segelbar. Also klariere ich Matten und lege mich zeitig in die Koje. Ohne Wecker werde ich gegen 4 Uhr wach. Kaffee kochen, Landstromkabel einholen und kurz die Strategie zum Ablegen überlegen. Der nordwestliche Wind würde mich ohne Gegenmaßnahme leicht vertreiben. Also dampfe ich in die achterlichen Festmacher ein, lege leicht Ruder in Windrichtung und warte bis Lütt Matten stabil “ in den Seilen hängt“. Erst dann löse ich die beiden nunmehr schlaff hängenden Vorleinen. Jetzt den leeseitigen hinteren Festmacher einholen. Mit etwas mehr Gas bleibt Matten immer noch stabil liegen. Dann muss es etwas schneller gehen. Gas weg. Letzten Festmacher reinziehen und mit beherztem Gasgeben raus aus der Box. Alles geht gut, nur mein Mund ist wieder staubtrocken. Das ist mittlerweile mein bedingter Reflex aufs Hafenmanöver. Ob ich den jemals wieder loswerde?
Es ist kalt. Mitten im Juli trage ich Skiunterwäsche und Ölzeug. Ich genieße den einsamen Morgen auf dem Bodden. Die Sonne taucht langsam auf und ich kann meine Navigationslichter und das Dampferlicht ausschalten. Letzteres heißt nicht, dass ein Raucher an Bord ist, sondern signalisiert, dass ich unter Maschine fahre, was wiederum für die Gewährung der Vorfahrt auf See von Bedeutung ist. Dann ist das damit auch ohne Link geklärt.
Hunderte Reiher, Schwäne und sonstiges Geflügel ziehen stehenden Fußes an mir vorbei, denn neben der Fahrrinne wird es oftmals gleich flach, also wirklich flach. Zusammen mit der aufgehenden Sonne und einem leichten Dunstschleier wirkt die Szenerie leicht mystisch. Das I-Tüpfelchen bildet ein einsamer Angler in seinem orangefarbenen Ölzeug. Wir grüßen uns zu. Wie lange harrt der wohl schon aus? Etwas bange schaue ich auf den Windmesser. Der zeigt schon im geschützten Bodden mehr an, als für heute angesagt. Aber zumindest die Richtung der vier Windstärken scheint für meinen Weg gen Rostock segelbar. Aber es wird sicher ein Anbolzen.
Nach Barhöft motore ich die Westküste von Hiddensee hoch, um dann ausreichend Höhe fürs Segeln zu haben. Der Wind ist leider nicht ausreichend nördlich. Dann aber ziehe ich Groß- und Vorsegel raus, beide gut gerefft. Denn der Wind bläst mit 6 Windstärken und ich weiß noch nicht, ob da noch stärkere Böen folgen. Matten gelingt es nicht immer, die Wellen sauber zu durchschneiden und wir knallen dann ordentlich ins Wellental. Wenn das geschieht, wirkt das wie eine Vollbremsung. Aber schnell nehmen wir wieder Fahrt auf.
Ganz sportliche Segler ziehen mit wesentlich mehr Tuch an mir vorbei und schieben ordentlich Lage. Einer will es mir scheinbar richtig zeigen und zieht fünf Meter seitlich an mir vorbei. Ja, ich weiß. Du kannst schneller segeln. Ich dafür bequemer. Ich habe das Gefühl, das die anwesende Frau des sportlichen Skippers neidisch auf mein weniger krängendes Boot schaut…
Joo, und dann bekomme ich eine Lehrvorführung in Wendewinkel und richtiger Taktik beim Aufkreuzen. Denn ich kann leider nicht ausreichend Höhe halten und müßte eine Wende fahren, die mich dann wieder vom Ziel entfernen würde. Doch ich möchte gerne bei Tageslicht ankommen. Ich schmeiße den Motor an und kann so 10 Grad gutmachen. Reicht aber trotzdem nicht. Immer wieder versuche ich, die Tonne Darßer Ort West direkt anzusteuern. Geht nicht. Irgendwann nehme ich mir die Karte zur Hand und zeichne mir den Ort auf, zu dem ich hin muss, um dann wieder direkten Kurs anlegen zu können. 254 Grad kann ich fahren. 100 Grad Wendewinkel inklusive Versatz sollten reichen. Und nach meinem Eiertanz geht diese Strategie dann auch auf. Hätte ich mal gleich machen sollen. Pi mal Daumen funktioniert neben nicht.
Nach dieser verflixten Tonne geht es dann besser. Denn jetzt kann ich saubere 30 Grad zum Wind fahren und muss nicht ständig Höhe kneifen. Besser ist auch der Wind. Also wieder stärker. Welle ebenso. Und ich bin froh, gutbetucht, sprich gut gerefft, um die Ecke zu kommen. Wir schieben ordentlich Lage, aber im noch erträglichen Maße. Trotzdem öffne ich etwas das Groß und rolle das Vorsegel etwas stärker ein. Die Wellen kommen jetzt etwas mehr von Steuerbord und schaffen es ab und zu ins Cockpit. Ich nehme es als lustige Abwechslung und bedanke mich bei Herrn R. für die Duschen.
Gedanken mache ich mir um mein Hafenmanöver in Warnemünde. Die notwendigen Vorbereitungen kann ich bei diesem Wellengang vergessen. Nee, noch einmal brauche ich keinen Festmacher in der Schraube. So hoffe ich, dass zumindest die Vorhersage, der Wind würde westlich “später“ abnehmen richtig ist. Nur, was ist “später“ und ist Warnemünde schon westlich? Na klar, seit 1990. Also schiebe ich meine vorauseilende Angst beiseite.
Der Kühlturm taucht am Horizont auf. Ich weiß, dass es trotzdem noch Stunden bis zum Ziel dauern wird. Irgendwann verliert Lütt Matten an Fahrt, der Wind auch. Aha. Wir kommen dann doch wohl in den Westen. Und “später“ könnte man 16 Uhr durchaus nennen. Halt reine Definitionssache. Als wir schließlich nur noch mit vier Knoten unterwegs sind, ziehe ich mehr Tuch raus. Dieses Spielchen wiederhole ich mehrmals, bis am Ende alles draußen ist und die Winduhr nur noch 13 Knoten zeigt.
Eine halbe Stunde vor Ankunft hänge ich die Fender raus, natürlich brav eingepickt, sprich mit einer Sicherheitsleine immer mit dem Boot verbunden. Das war ich übrigens fast die ganze Fahrt. Joo, als dann die Festmacher vorbereitet sind, stehen wir auch schon zuzusagen vor der Haustür. Das Einrollen der Segel ist schnell erledigt. Als letzten vorbereitenden Akt bringe ich die Vorleinen an, damit diese bloß nicht wieder über Bord gehen…
Die Marina ist voll, also voller roter Zeichen für “besetzt“. Schließlich ziehe ich an den Liegeplätzen für Dauerlieger vorbei, zu denen ich ja in diesem Jahr nicht mehr zähle. Und ein verständnisvoller Mann ruft mir zu, links neben ihm sei noch Platz, auch wenn da ein rotes Zeichen stünde. Okay. Ähnliche Hilfestellung gab ich in der Vergangenheit auch öfter, wenn abends Boote in der Marina suchend kreisten, um noch ein Plätzchen zu finden. Nichts ist dämlicher, als nach vierzehn anstrengenden Stunden auf dem Wasser keinen Liegeplatz zu finden.
Der Anleger gelingt auf Anhieb. Ein freundlicher Stegnachbar sagt mir den Abstand zum Steg an und hält Mattens Nase solange, bis ich die achterlichen Festmacher fest habe. Vorleinen rüber und gut ist. Ich bedanke mich für die willkommene Hilfe, die leider nicht mehr selbstverständlich ist.
Liegeplatzgebühr löhnen, Anlegerbier und Landstromkabel legen sind dann die letzten Pflichten des Tages. Ein abendliches Grillen muss dann auch noch sein. Dann falle ich in die Koje.